Diesel
VW-ABGASSKANDAL
Der Abgas-Skandal beschäftigt nicht nur den Volkswagen-Konzern nach wie vor, sondern schafft auch diversen Anwaltskanzleien viel den Umsatz steigernde Arbeit.
Bild: Julian Stratenschulte, dpa
VW muss Milliarden aufwenden, um die Kosten des Abgasskandals zu stemmen. Die Gerichte sind überlastet, es profitieren aber Anwälte – egal ob sie für oder gegen Volkswagen streiten.
Wenn der VW-Abgasskandal eines Tages von Hollywood verfilmt wird, dann wird dabei vielleicht auch die ein oder andere Anwaltsrolle zu besetzen sein. Leonardo di Caprio soll sich die Filmrechte bereits gesichert haben. Der Betrugsstoff ist bestimmt filmreif, Antagonisten mit Rechtsschutzbedarf gibt es genug, Fälle und Gerichtsverfahren in fast unüberschaubarem Ausmaß. Und die Summen, um die es dabei geht, haben eine ziemlich dramatische Fallhöhe.
Die Filmindustrie könnte mit der Darstellung eines der wohl größten Wirtschaftsskandale der Geschichte also etwas verdienen. Anwälte tun es derzeit schon ganz gut. Man kann für oder gegen VW streiten. Zu tun gibt es genug. Der Kölner Fachverlag Juve hat unlängst ausgewertet, dass von den 50 führenden Kanzleien in Deutschland mindestens 18 für VW im Diesel-Skandal tätig sind.
Die Umsätze der Kanzleien, die im VW-Abgasskandal streiten, sollen stärker als im Schnitt wachsen
Der Effekt schlage „deutlich“ auf die Kanzleibilanzen durch. Das Fazit: „Beim Umsatzzuwachs haben VW-Prozesskanzleien den Marktdurchschnitt zuletzt um fast 50 Prozent übertroffen.“ Die Konstellation sei „einmalig in der deutschen Wirtschaftsgeschichte“. Allein 15 der Juve-Top-50 wehren für VW Klagen von Dieselfahrern ab. Hinzu kämen weitere Kanzleien, die im Großeinsatz seien, sei es für den Aufsichtsrat von VW oder weil sie sich um Kapitalanlegerklagen im Diesel-Komplex kümmern. Die Schlussfolgerung der Juve-Erhebung: „Die Umsätze der VW-Diesel-Kanzleien sind im Durchschnitt um 43 Prozent stärker gewachsen als der Marktdurchschnitt.“
Welche Summen genau dahinterstecken, bleibt offen. Anwaltssozietäten neigen nicht gerade zur Plauderei und sind – aus guten Gründen vertraulich – unterwegs.
Dieselskandal: Volkswagen hat 1,77 Milliarden Euro für Berater und Anwälte ausgegeben
Gewisse Rückschlüsse auf die Dimensionen aber lassen die VW-Zahlen zu. Wie ein VW-Sprecher auf Anfrage mitteilt, hat Volkswagen bisher „weltweit 1,77 Milliarden Euro für Berater und Anwälte in Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal ausgegeben“. Das ist die jüngst verfügbare Zahl aus dem vergangenen Jahr. Seither dürften die Anwaltskosten allerdings nicht weniger geworden sein.
VW hat die Vergleichsverhandlungen mit dem Bundesverband der Verbraucherzahlen aufgekündigt.
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Ein paar andere Zahlen veranschaulichen, um welche Summe es geht: So hat VW eigenen Angaben zufolge „bis zum heutigen Zeitpunkt der Zahlung von 23 Milliarden US-Dollar zur Beilegung von Klagen im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik in den USA zugestimmt“. Dann wurden den weiteren Angaben eines VW-Sprechers zufolge 2018 „so weit bereits hinreichend bewertbar, im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik insgesamt Eventualverbindlichkeiten in Höhe von 5,4 Milliarden Euro (Vorjahr: 4,3 Milliarden Euro) angegeben“. Die neuesten Zahlen werden bei der Jahrespressekonferenz im Frühjahr bekannt gegeben. Insgesamt habe der Abgas-Skandal den Weltkonzern aus Wolfsburg von 2015 bis Juni 2019 30 Milliarden Euro gekostet.
Der Markt für Rechtsanwälte ist mittlerweile leergefegt
Dass VW zahlen muss, dafür zeichnet auch der Münchener Anwalt Markus Klamert verantwortlich. Er setzt vor Gericht Schadenersatzansprüche für Käufer von Autos verschiedener Hersteller – nicht nur VW oder Audi – durch, die vom Abgas-Skandal betroffen sind. Seine Sozietät ist spezialisiert auf Massenverfahren. Er sei von Anfang an, so erklärt Klamert, also seit nunmehr vier Jahren, dabei und habe seinen Umsatz „kontinuierlich gesteigert“. Der habe sich „Jahr für Jahr deutlich erhöht“. Vor vier Jahren hätte er fünf Angestellte in der Kanzlei gehabt, inzwischen seien es 16. Der Markt für Rechtsanwälte sei derzeit wie leer gefegt. Klamert: „Sie finden keinen mehr.“ Er und seine Mitarbeiter haben über 5000 Diesel-Verfahren geführt. Klamert hat daher genau verfolgt, was vergangene Woche in Braunschweig passiert ist.
VW hatte die offiziellen Vergleichsverhandlungen zur Musterfeststellungsklage mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) aufgekündigt. Die bereits ausgehandelten 830 Millionen Euro sollen „auch ohne die Unterstützung des Verbraucherzentrale-Bundesverbands“ angeboten werden, hatte das Unternehmen nach einer außerordentlichen Vorstandssitzung am Freitag mitgeteilt. Die Verbraucherschützer haben VW am Montag nun zur Ausweitung seines eigenen Angebots an alle Kunden aufgefordert: „Statt einige hunderttausend könnten so Millionen betrogene Verbraucher in den Genuss von Entschädigungszahlungen kommen“, schlug der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Klaus Müller, vor.
Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig für das Scheitern der Verhandlungen
Beide Seiten schieben sich gegenseitig die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zu. Während der Autobauer nicht hinreichend ausgeführte Gebührenforderungen von Anwälten des Verbraucherschutzverbands in Höhe von 50 Millionen Euro als Grund nennt, erklärte der Verband, VW sei bei der Abwicklung der Zahlungen an die Kunden „nicht zu Transparenz und Sicherheitsmaßnahmen“ bereit gewesen. Es gibt zudem Streit darüber, wer auf wen Zeitdruck ausgeübt hat.
Die zur Musterfeststellungsklage in Braunschweig angemeldeten Kunden dürften – nach dem Volkswagen-Angebot – voraussichtlich durchschnittlich um die 2000 Euro pro Musterkläger erhalten. Auf einer Internetseite wirbt VW bei den Kunden darum, die „unkomplizierte Offerte“ anzunehmen.
Für Klamert ist das Angebot ein „schlechter Deal“. Warum? Im Mai steht die erste Verhandlung zu Einzelprozessen von VW-Diesel-Kunden am Bundesgerichtshof (BGH) mit einem möglichen Grundsatzurteil an. Ausgang offen. Was, so fragt Anwalt Klamert, wenn das Gericht urteilt, dass den Kunden – vereinfacht gesagt – zusteht, den vollen Kaufpreis rückerstattet zu bekommen? „Dann schauen doch alle, die die 2000 Euro genommen haben, mit dem Ofenrohr ins Gebirge.“ Klamert hat auch eine Meinung zu der Forderung von 50 Millionen Pauschalvergütung, die laut VW von Anwälten der Verbraucherschützer nicht ausreichend begründet worden sein soll. Diese 50 Millionen seien – ein „durchaus angemessener Betrag. Auch wenn sich das ganz furchtbar anhört.“ Es geht um filmreife Beträge. (mit dpa)